Piloten, Schweizer Käse und die Just Culture

Wenn in der Fliegerei etwas passiert, liegt der Fehler meist nicht nur bei einem Einzelnen, sondern in der Verzahnung von Schwachstellen. Man geht in einem komplexen System davon aus, dass Sicherheit nicht nur an einer Stelle gewährleistet wird, sondern auf verschiedenen Ebenen oder nacheinander gelagerten Sicherheitsnetzen. Es hat sich dabei der Begriff des löchrigen “Swiss-Cheese“ etabliert, bei dem jede Sicherheits(Käse)scheibe das Fatale abwendet. Da jede Scheibe in der Praxis aber unbekannte Löcher hat, ist es nur dann sicher, wenn mehrere Scheiben nacheinander folgen. Das System als Ganzes muss die Sicherheit garantieren, wie Aeropers, der Berufsverband des Cockpitpersonals der Swiss, das Vorgehen beschreibt.


«Just Culture» - auch Redlichkeitskultur genannt - ist Voraussetzung für eine funktionierende Sicherheitskultur. Just Culture schafft eine Atmosphäre des Vertrauens, in der Mitarbeitende ermutigt werden, sicherheitsrelevante Ereignisse zu melden und Informationen weiterzugeben (Meldekultur). Diese Informationen befähigen eine Organisation, Sicherheitsprobleme im System zu erkennen (informierte / anpassungsfähige Organisation) und gezielt Verbesserungs-massnahmen zur Erhöhung der Sicherheit einzuleiten (Lernkultur).


Fehler, Irrtümer und Missgeschicke sind immer Teil des menschlichen Handelns, wie Stephanie Rascher, Professorin für Wirtschafts-psychologie, schreibt. (1) Doch unsere Arbeitswelt erlebt gerade einen Paradigma Wechsel, wie es ihn seit der industriellen Revolution nicht mehr gegeben hat. Die Digitalisierung verändert unsere Arbeitswelt mit einer Schnelligkeit, die für viele Menschen kaum noch nachvollziehbar ist. Dies bedeutet zunehmender Stress und im Prozess der Informationsverarbeitung und Entscheidungsfindung führt viel Stress zu einer eingeschränkten Aufnahmefähigkeit. In dieser Situation tun wir uns schwer damit, die Informationen richtig einzuordnen und unter verschiedenen Alternativen zu wählen.


Lange Zeit wurden Fehler als Fehlleistungen einer oder mehrerer Personen gesehen. Inzwischen hat sich eine systematische Sicht auf Fehler entwickelt, folgerichtig wird ein Fehler nicht als falsche Handlung, sondern als unerwünschtes Ereignis im System verstanden. Daher sind die Vorbedingungen auf allen Ebenen des Systems zu untersuchen, resp. zu beeinflussen. Auf dieser Grundlage kann eine funktionierende Sicherheitskultur aufgebaut werden.



Grafik: Elemente Sicherheitskultur


Auch die Schweizer Politik hat die Bedeutung einer funktionierenden Sicherheitskultur im Gesundheitswesen erkannt. Die Rechtskommission des Ständerates verabschiedete im September 2020 ein Postulat, welches den Bundesrat beauftragt, zu prüfen, im Gesundheitswesen oder in anderen hochsicherheitsrelevanten Bereichen das Prinzip der Just Culture im Schweizer Recht als generelles Prinzip eingeführt werden kann.


Bis eine Antwort des Bundesrats vorliegen wird, dürfte noch einiges Wasser die Aare hinunterfliessen. Doch dieser Umstand sollte keine Organisation daran hindern, ihre Kultur im Umgang mit Fehlern kritisch zu hinterfragen und die wesentlichen Elemente einer Sicherheitskultur, siehe Darstellung, auszubauen.



(1)     Stephanie Rascher, Just Culture in Organisationen, 2019, essentials, Springer Fachmedien, Wiesbaden, D.