Die Alterspflege und -betreuung im Spannungsfeld zwischen börsenkotierten Konzernen und Caring Community

Die Betreuung und Pflege von betagten Menschen ist in der Schweiz kostenintensiv und die Finanzierung steht auf wackeligen Füssen. Doch kürzlich beschrieb die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) am Sonntag (1) die Alterspflege als wirtschaftlich interessanten Zukunftsmarkt, in dem bereits heute internationale Konzerne lukrative Geschäfte machen. Während die öffentliche Hand, Gemeinden, aber auch Stiftungen Käufer oder Betreiber für ihre Institutionen suchen, steigt die Zahl der Betreuungsplätze, die Aktiengesellschaften gehören. Bereits heute ist jeder sechste Platz im Besitz einer Aktiengesellschaft. Dieser Trend sei unumkehrbar, schreibt die NZZ am Sonntag und erläutert den dahinterliegenden Mechanismus anhand von Orpea, einem internationalen Konzern mit Sitz in Paris, der mit der Senevita Gruppe auch in der Schweiz aktiv ist. Orpea hat im letzten Jahr ihren Umsatz verfünffacht, den Aktienkurs vervierfacht und die Dividende verelffacht. Die Wirtschaftswissenschafterin Jane Lethbridge, Direktorin einer Forschungsgruppe an der Universität Greenwich (UK), und ihr Forschungsteam haben im Auftrag der EU-Kommission und des europäischen Gewerkschaftsbundes die Strategie von Orpea und die Arbeitsbedingungen der Firma untersucht. Ihr Fazit ist unmissverständlich. Für eine Firma wie Orpea gibt es nur einen Weg, Profit zu machen: «Die Personalkosten senken und den Service für die Bewohner reduzieren». So erstaunt es nicht, dass in Frankreich, Deutschland und Spanien die Medien immer wieder über Streiks des Pflegepersonals sowie gerichtlichen Auseinandersetzungen betreffend Anstellungsbedingungen berichten.


Können wir als Gesellschaft diesem Trend etwas entgegensetzen? Bleiben wir passiv und akzeptieren, dass wir im Interesse einer Rendite in Zukunft nur minimal betreut und gepflegt werden? Auf der Suche nach Antworten lohnt es sich einen Blick auf die Caring Community oder sorgenden Gemeinschaften, wie diese Initiativen im deutschen Sprachraum mehrheitlich genannt werden, zu werfen. Sie zu beschreiben fällt nicht leicht, da sie sich hinsichtlich Zweckbestimmungen wie auch Organisationsformen stark unterscheiden. Gemeinsam ist der Grundgedanke eines sozialen Miteinanders, wo gegenseitig Verantwortung geübt und gelebt wird. Dank dem Zusammenwirken von freiwillig Engagierten, marktorientierten Dienstleistern und kommunalen Einrichtungen können Menschen mit besonderen Bedürfnissen, wie z.B. Demenz-Erkrankte, Familien in schwierigen Verhältnissen oder Menschen die Zuhause sterben möchten, adäquater betreut werden. Bereits heute kommt der Freiwilligenarbeit ein grosser Stellenwert zu, im Rahmen von sorgenden Gemeinschaften wird das persönliche Engagement mit professionellen Angeboten verknüpft und dadurch gestärkt. Parallel dazu wird der Zugang zu diesen Angeboten verbessert, damit sie auch Menschen erreichen, die gefährdet sind, durch die Maschen der traditionellen Sozialnetze zu fallen. Damit können sorgende Gemeinschaften einen Beitrag zur Minderung von sozialen Ungleichheiten zu leisten.

Voraussetzung für das Entstehen und die Entwicklung von solchen Gemeinschaften sind gemeinsame Werte und die Bereitschaft vom Leben und über das Leben Anderer lernen zu wollen, wie es Dr. Klaus Wegleitner, Karl-Franzen-Universität Graz (2), beschreibt. Dem Staat kommt in erster Linie eine begleitende Rolle zu, indem er Rahmenbedingungen schafft, damit sorgende Gemeinschaften sich entwickeln und prosperieren können.

Sorgende Gemeinschaften gibt es auch in der Schweiz: Das Réseau Santé, Balcon du Jura bietet verschiedene Wohnformen für alte Menschen an und verbindet in seinem Netzwerk u.a. ein Sozialmedizinisches Zentrum mit einem Spital wie auch einem Freizeitzentrum. Auch im Emmental haben sich Menschen zusammengeschlossen, die ihre Vorstellungen einer sorgenden Gemeinschaft verwirklichen wollen. Sie alle benötigen einen langen Atem, doch sie arbeiten einen Gegenentwurf zu einer rein gewinnorientierten Altersbetreuung und -pflege. Respekt!



(1)     NZZ am Sonntag, 18.11.2018, Artikel ‘Wer kassiert ihre Rente?’

(2)     Dr. Klaus Wegleitner, Beitrag Caring Communities & Compassionate Cities,
Nationaler Palliative Care Kongress, 2018